Wollgras |
August 1983 Suorva - Njabbejåkkå - Kukkesvagge - Stortoppen - Pielavalta - Alkanjalme - Alkajaure - Tjågnåriskaite - Tarraluoppal - Tarrekaise - Kvikkjokk, 133 km
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Vieles (aber nicht alles) über mich Wandern in Lappland
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Das waren noch Zeiten! Unterwegs im regnerischen Lappland ohne Goretex und
Fleece, dafür mit Bundeswehr-Kniebundhose, Jeans und Gummi-Poncho. Würde ich
heute nicht mehr machen, schon gar nicht, wenn klar ist, dass das Wetter
durchaus so biestig sein kann wie im Sommer 1983. Das wussten wir allerdings
noch nicht, als wir am Montag, 15. August, in Suorva aus dem Bus stiegen. Fünf
Pfadfinder aus Untergruppenbach, Tyskland, die im damals noch gar nicht so
bekannten Sarek Nationalpark auf Fahrt gehen wollen. Lärm und Krach umgeben uns,
denn am Wasserkraftwerk wird kräftig gebaut.
Riesige Laster kurven herum. Wild geht's hier zu, aber mit der Wildnis, die wir
suchen, hat das nichts zu tun. Die müssen wir uns erwandern, und das ist nicht
so leicht. Schon nach wenigen Metern, zeigt der Wind dem Lappland-Greenhorn,
was Sache ist, und bläst mir meinen Regenschutz vom Rucksack. Während ich ihm
hinterherrenne, machen die anderen vier Pause. Danach kämpfen wir uns durch
den Wald am Südufer des Akkajaures. Wir folgen dem markierten Weg, überqueren
mehrere Bäche und bleiben wiederholt in Schlammlöchern stecken, ehe wir am
Abend beim Njabbejåkkå auf etwa 700 Metern Höhe unser Lager
aufschlagen. Nur Östi hat noch Lust auf einen Abendspaziergang. Er besteigt
den Slugga und braucht dafür viel länger als ursprünglich geplant. Von seinem
einsamen Gipfelerlebnis schwärmt er noch Jahre später, obwohl er auf dem
Rückweg in den Sluggabach fiel. |
Der zweite Tag beginnt, wie der erste aufgehört hat: feucht. Wir wandern am
Njavvepuolta entlang nach Süden und versuchen dabei, so gut es geht, den
Mittelweg zwischen sumpfiger Niederung und steiniger Höhe zu halten. Im
andauernden Nieselregen will keine rechte Wanderfreude aufkommen. Ich sehe den
anderen nach, wie sie vorausmarschieren und frage mich mehrfach, was ich denn
hier mache. Östi, unser Bergstiefler, bekommt am Sluggabach einen weiteren
Vorgeschmack auf das, was ihn im Sarek noch erwarten sollte. Völlig
durchweicht überqueren wir abends die Brücke im Kukkesvagge und schlagen gleich danach
unsere Zelte auf. Wir sind im Sarek Nationalpark, und es ist lausekalt.
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Kaum sind wir das erste Mal im Leben im Sarek, wollen wir gleich Nägel mit
Köpfen machen. Der Stortoppen ist unser Ziel. Ausgerechnet den höchsten Berg
im Sarek, den zweithöchsten in Schweden überhaupt, wollen wir erklimmen.
Zumindest vier von uns, Zigge bleibt lieber im Lager zurück. Jugendlich
unbekümmert marschieren wir durchs Kukkesvagge nach Nordwesten. Östi sorgt in
seinen Bergstiefeln immer wieder für spannende Unterhaltung beim Überqueren
der zahlreichen Gletscherbäche. Am Fuß des Berges machen wir Mittagsrast, ehe
wir den eigentlich Aufstieg beginnen. Der zieht sich, denn zunächst müssen wir
auf den Nordtoppen. Es geht zuerst über schier endlose Blockfelder, dann liegt
unter uns nur noch Schnee. Mehrmals denke ich, am Ziel zu sein, werde dann
aber doch immer wieder enttäuscht. Der Stortoppen ist kein Discountgipfel. Weil
die Sicht gleich Null und unser Grat sehr schmal ist, seilen wir uns an. Jörgs
entblößte
Waden sind knallrot, an meinen Haaren hängen Eiskugeln. Auch am hölzernen
Wanderstock setzt sich immer mehr Eis fest. Das langersehnte Gipfelerlebnis
ist eher psychologischer als optischer Natur. Denn wir sehen fast nichts,
stehen in einer weißen Hölle. Selbst der Selbstauslöser an Jörgs Kamera will
nicht so richtig. Er ist festgefroren. Folglich machen wir uns auch gleich
wieder an den Abstieg. Der erfolgt etwas weiter westlich über ein langgezogenes
Schneefeld, das uns den Abstieg erleichtert. Der lange Heimweg zum Lager an
der Brücke bringt abgesehen von einem Regenbogen keine Überraschung.
Dafür aber die Ankunft bei den Zelten: Die liegen flach. Zigge hat sie wegen heftiger Sturmböen
vorsichtshalber abgebaut und mit an der Brücke liegenden Holzbalken beschwert.
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Heute geht es an der Westfront des Sarekmassivs weiter nach Süden in den
Nationalpark hinein. Der Aufstieg zum Vuoineskaite ist uns zu steil, wir umgehen
ihn östlich. Danach folgt eine sehr angenehm zu gehende Strecke den
Pierikjåkkå bachaufwärts. Wir bestaunen einige Stunden später den
geheimnisvoll türkisfarbenen Pierikjaure. Von den umgebenden schroffen Gipfeln
ist dagegen wegen der Wolken nur sehr wenig zu sehen. Das allein wäre gar nicht
so schlimm, wenn nicht eben diese Wolken, ständig auf uns herabregnen würden.
So langsam beschleicht uns der Verdacht, dass wir hier einen sehr nassen Urlaub
verbringen. Wie am Vortag erreichen wir unser Tagesziel in der Nähe der
Pierikhütte völlig durchweicht. |
Das Prinzip Hoffnung erweist sich langsam als hoffnungslos. Es regnet. Wie
immer. Mit jedem nassen Meter schwindet der Sinn für die uns umgebende
grandiose Natur. Sie ist ohnehin nur zu einem kleinen Teil sichtbar. Wir
folgen dem Trampelpfad in Richtung Nordwesten zum Smailatreffen. Die Brücke
über den ungestümen Smailajåkkå in seiner schroffen Schlucht nötigt
uns einigen Respekt ab. Unser Weg führt noch ein gutes Stück weiter hinüber
ins Alkavagge.
Dort stehen wir einige Stunden später fassungslos vor einem Wunder: der
offenen Renwächterhütte. Durchnässt wie wir sind, können wir der Versuchung
nicht widerstehen und ziehen ein. Eine Hütte für uns. Mit Ofen, mit
Trockenraum - so stellt man sich nach fünf nassen Tagen das Paradies vor! Wir
sind glücklich. Vor allem Östi, der in den letzten Tagen immer mehr gegen eine
aufkommende Grippe zu kämpfen hatte, ist froh.
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Noch so ein Wunder: Heute scheint die Sonne. Das muss man sich vorstellen.
Wir haben eine Hütte, und die Sonne scheint! Gute Voraussetzungen für Östis
krankheitsbedingten Antrag: Er will einen Ruhetag. Wir anderen auch. Folglich
genießen wir den Tag - jeder auf seine Weise. Jörg ist draußen unterwegs mit
dem Foto. Zigge liegt auf einer Steinplatte im Bach und döst. Östi liegt im
Bett und schluckt Chemie. Hartmut und ich backen Pfannkuchen mit feiner
Schoko-Füllung. Kaum sind sie fertig, sind alle da und schmausen. Ein richtig
gemütlicher Tag nimmt seinen Lauf. Wir sitzen / liegen draußen in der Sonne und
sehen zum ersten Mal, wo wir drei Tage zuvor hinaufgeklettert sind:
Drüben im Norden thronen die Sarek-Hauptgipfel vor stahlblauem Himmel. Eisige
Riesen, die stolz zu uns herüber schauen. Nachmittags starten wir zu kleineren
Ausflügen in die nähere Umgebung - Rentiere fotografieren und so. Selbst unser
kranker Östi kommt gegen Abend aus der Hütte und vertritt sich ein wenig die
Beine. Ein rundum schöner Lapplandtag, der uns für so manches Ungemach seiner
Vorgänger entschädigt. |
Wir machen Großputz in der Hütte, schließlich wollen wir sie mindestens
genauso ordentlich verlassen wie wir sie vorgefunden haben. Danach starten wir
trocken und optimistisch nach Südwesten ins Alkavagge hinein. Der Bach nach
der Hütte macht uns keinen Ärger. Nur Zigge wählt einen beschwerlichen Weg: Er
robbt über ein großes Schneefeld. Wir verlieren uns förmlich in diesem riesigen
Trogtal mit seinem topfebenen Boden. Östi fällt zurück, er hat seine Grippe
immer noch nicht überstanden. Vor allem er sollte an diesem Tag schwer zu
kämpfen haben. Der Bach vom Sarvestjåkkå wird ihm zum Verhängnis. Längst
ist ihm jeder Schritt zur Qual geworden, als er mit Zigge unschlüssig vor dem
Bach steht, den wir anderen schon überquert haben. Zweimal versucht er, ans
andere Ufer zu kommen und landet zweimal bis zum Kopf im Wasser. Zigge kommt
bis zur Mitte des Bachs, dann stürzt auch er. Allerdings kann er sich ans
andere Ufer retten. Von dort hilft er Östi an Land, dessen dritter Versuch
wieder im Bach endete. Beide wechseln sofort die Kleider und marschieren der
Kälte wegen gleich weiter. Östi kämpft sich durch die letzten Kilometer in
der Hoffnung auf die Hütte am Alkajaure. Aber die ist belegt. Uns bleiben nur
unsere Zelte und Östi ein Eintrag in sein Tagebuch: "Bisher ist es wohl mit das Brutalste,
was ich je mitgemacht habe." Abends trocknen wir Socken über dem Sturmkocher, was
das eine oder andere Loch zur Folge hat. |
Östi geht es wieder besser. Wir marschieren an der Grenze des Nationalparks
entlang nach Süden, den Padjelanta mit seinen eher sanften Hügeln zur Rechten.
Wir wollen zum Padjelanta-Leden, der uns zurück nach Kvikkjokk führen soll.
In zwei Tagen wollen wir ihn erreichen. Allerdings sollte diese Etappe unsere
kürzeste werden. Es regnet waagrecht, als wir den Alep Sarvesjåkkå
überqueren. Alle kommen trocken rüber, nur Zigge nicht. Der hatte am Tag zuvor
seinen Stock beim Furten im Alkavagge verloren. Östi lieh ihm seinen und sah ihn
nie mehr wieder. Mitten im breiten Bach gerät Zigge aus dem Gleichgewicht und
rammt den Stock in den Grund. Der bricht, und Zigge landet kopfüber im Bach.
Triefnass erreicht er das andere Ufer. Wir konstatieren reichlich gefrustet
einen Notfall und quartieren uns in der nahen Renwächterhütte ein. Sehr zum
Unmut eines schwedischen Ehepaars, das uns dort wenigs später antrifft, und
sich von unseren Beteuerungen, wir hätten einen Kranken in der Gruppe, kaum
beeindrucken lässt. Wir genießen den trockenen Hüttenaufenthalt dennoch und
versuchen, alles in bester Ordnung zurückzulassen. Mit Ausnahme einer
Packung "Extra starka Eukalyptus-Metholi", der Östi einfach nicht widerstehen
kann.
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Eine lange Etappe steht uns heute bevor. Wir wollen auf alle Fälle bis zur
Tarraluopal-Hütte am Padjelanta-Leden kommen. Unser Weg führt nach Süden
immer in der Senke zwischen Sarek und Padjelanta. Wir überklettern den
Rentierzaun bei Tjågnåris und marschieren immer an der Grenze
zwischen beiden Nationalparks entlang. Es ist bitterkalt, und der Regen
verwandelt sich mehr und mehr in Schnee. Stärker als an allen Tagen zuvor
spüren wir, wie unsere Körper beim Pause machen auskühlen. Das Warten auf
andere, die beim Packen nicht so schnell sind, wird zur Geduldsprobe. Der
Marsch zieht sich, und die Hütten wollen einfach nicht in unser Blickfeld
rücken. Längst hat jeder für sich beschlossen, dass wir auch in dieser Nacht
nicht im Zelt schlafen werden, wo doch die Hütte mit ihren Stockbetten lockt.
Folglich gibt es überhaupt keine Diskussion, als wir endlich in Tarraluopal
ankommen. Außer uns ist niemand hier. Wir haben die Hütten für uns und
beziehen eine davon. Eine gute Idee, denn als wir abends bei Tisch sitzen,
schauen wir wie gebannt aus dem Fenster: Draußen stürmt es und schneit. Wir
schlafen prächtig. |
Neuer Morgen, neues Bild: Die Welt ist weiß. Neuschnee hat alles zugedeckt. Wir
sind platt. Schließlich ist das doch unser Sommerurlaub! Wir folgen dem
Padjelanta-Leden, den wir in echter Selbstüberschätzung stolz als "Highway"
abtun. Die Rucksäcke sind merklich leichter, und wir kommen gut voran. Nach
etwa sechs Kilometern rasten wir. Dort stellt Jörg fest, dass er sein
Rentiergeweih, eine wichtige Sarek-Trophäe, in der Hütte vergessen hat. Er
marschiert allen Ernstes zurück, um es zu holen. Wir anderen gehen weiter. Der
Birkenwald fasziniert uns zumindest anfänglich. Schließlich haben wir seit Tagen
keinen Baum mehr gesehen. Gegen Abend treffen wir in Såmmarlappa ein, wo
wir uns in der Selbstversorgerküche unser Abendessen breiten. Jörg ist wieder
bei uns - mit seinem Geweih. Die Tatsache, dass uns langsam die Lebensmittel
ausgehen, bewirkt zweierlei: Östi überwindet seine Maccaroni-Abneigung und
schlabbert kräftig mit. Und zweitens hängen wir noch eine weitere Tagesetappe
an. Die Tarrekaise-Hütte ist unser Ziel. Das Aufraffen alleine fällt uns schon
schwer genug. Jörg hat auf dem stark erodierten Weg mit seinen zwar hilfreichen,
aber knallharten Holzbohlen schwer zu kämpfen.
Seine Knie schmerzen. Längst ist es dunkel, und wir erreichen die Hütte in
waldfinsterer Nacht. Nicht weit davon entfernt bauen wir unsere Zelte auf und
belohnen uns für diesen langen Marsch mit einem seltsamen Gebräu aus Tee-Extrakt
und Glühfix. Skoll!
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Die Nacht verging zu schnell. Wir müssen uns förmlich aus den Schlafsäcken
schälen. Aber schließlich wollen wir heute ja noch das Boot erreichen. Unsere
Vorräte sind auf ein bedenkliches Maß geschrumpft. Futterneid sorgt dafür, das
mindestens genau so viel Müsli auf dem Boden landet, wie in den Mägen. Wir legen
ein flottes Tempo vor und sind schon zur Mittagszeit in Njunjes. Die restlichen
etwa acht Kilometer wollen wir mindestens genau so schnell bewältigen. Da aber
täuschen
wir uns. Überall liegen Steine auf dem Weg. Das behindert vor allem die
Fußlahmen in der Gruppe erheblich. Zum Trost gibt's ihm sumpfigen Wald nach
der Hütte jede Menge Heidelbeeren. Und wir haben alle großen Hunger. Längst
sind wir so weit, dass wir jeden Schokokrümel aus der Packung klauben. Als wir
nach schier endloser Marschiererei endlich am Anlegesteg stehen, geht alles
ganz schnell. Das Boot kommt, nimmt uns mit, und plötzlich sind wir in
Kvikkjokk. Hallo Zivilisation, da sind wir wieder. Völlig erschöpft,
abgemagert, und mit Brandlöchern in den Socken mieten wir uns in eine Hütte ein.
Die erste Sarek-Tour ist geschaffft. Wir auch.
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