Alpen-Pechnelke |
August 2000 Kebnats - Autsutjvagge - Sitojaure - Skierfe Jåkåtikaskalakko - Alep Valek - Pastavagge - Pielavalta - Kukkesvagge - Njavvepuolta - Vuoskelvagge - Suorva, 107 km
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Alles klappt wie am Schnürchen. Man könnte fast glauben, das gesamte
schwedische Transportwesen sei auf Sarek-Wanderer abgestimmt. Von
Süddeutschland bis Gällivare fahren wir ohne größere Unterbrechungen durch.
Vormittags steigen wir aus dem Zug, marschieren zum Campingplatz und haben
damit einen ganzen Tag zum Akklimatisieren und vor allem zum Packen. Die
Verpflegung für 16 Tage muss aus den Kisten in die Rucksäcke. Für einen
Bummel durch das in seiner Reizlosigkeit fast schon wieder reizvolle
Gällivare reicht die Zeit auch noch. Am nächsten Morgen packen wir gemütlich,
trotten danach zurück zum Bahnhof und steigen wenig später in den Bus
nach Ritsem. Wir haben einige Sarek-Neulinge in der Gruppe, die Lappland
entweder gar nicht, oder aber nur seine waldige Seite kennen. Sie fragen
sich während der stundenlagen Fahrt durchs Waldland, wo denn hier Berge sein
sollen. Die kommen spät, aber sie kommen. In Kebnats steigen wir aus und
blicken über den Akkajaure hinweg auf den steilen Hang, den wir erklimmen
wollen. Während uns das Boot hinüber bringt, ist der Himmel noch
wolkenverhangen. Kaum stehen wir am anderen Ufer, klart es auf - und wird
warm. Das ist gar nicht so gut, denn am steilen Hang läuft uns der Schweiß
in Strömen. Wir sind noch nahezu untrainiert und haben schwer zu tragen. Zum
Trost stoppen wir an günstigen Stellen, drehen uns um und genießen
berauschende Ausblicke über den Akkjaure hinweg nach Norden. Noch ist das
Autsutjvagge nicht in Sicht. Wie schon bei der 96-er Tour lassen wir uns von
der trügerischen Sicherheit eines markierten Wanderwegs - immerhin sind wir
auf dem Kungsleden - täuschen. Es dauert eine ganze Weile, ehe uns
auffällt, dass wir eine Abzweigung verpasst haben. Wir sind zu weit nach
Westen abgekommen, auf dem Weg zum Lapplager am Pietsaure. Dumm gelaufen.
Jetzt müssen wir das nördliche Autsutjvagge fast in seiner ganzen Breite
durchqueren, um wieder auf den Kungsleden zu gelangen. In der Ferne sehen
wir eine kleine Gruppe, der es ebenso ergangen ist. Also queren wir das Tal
in Richtung Südosten und versuchen so gut es geht, den Sümpfen auszuweichen.
Das kostet die Bergstiefler unter uns so manchen Umweg. Schließlich
erreichen wir wieder den Kungsleden und ziehen weiter Richtung Süden. Vor
uns liegt das breite Autsutjvagge mit seinem weit geschwungenen Bach. Unsere
erste Mittagspause verbringen wir zusammen mit ein paar Moskitos gemütlich in
der Sonne. Sogar ein kleines Nickerchen ist drin. Danach folgen wir weiter
dem Weg bis zur Hütte. Kurz danach, nach insgesamt etwa neun Kilometern aber
ist Schluss. Die Gruppe will nicht mehr, es reicht für den ersten Tag.
Außerdem scheint die Aussicht auf ein Klohäuschen in der Nähe doch recht
attraktiv zu sein. So mancher nimmt den etwa 500 Meter langen Weg zurück auf
sich. Abends machen wir einen kleinen Spaziergang und erkunden die Strecke
des nächsten Tages. Die Freude, endlich wieder in der Wildnis zu sein, hält
uns lange wach.
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Spitzenwetter. Wir futtern unser erstes Müsli-Frühstück und sind
hochmotiviert. Schließlich lockt heute der große Sitojaure, eine Bootsfahrt
und der Star der Tour: der Sarek Nationalpark. Bis dahin ist es aber noch
ein gutes Stück. Die elf Kilometer bis zur Sitojaure-Hütte sind einfach zu
gehen. Ohne nennenswerte Steigungen und mit schönen Ausblicken. Etwa zwei
Kilometer vor uns im Südosten sehen wir sogar einen heftigen Regenschauer
niedergehen. Bei uns scheint die Sonne. Je höher wir kommen, desto mehr
sehen wir von der Jåkåtjkaskalakko. Die Hochebene bleibt
allerdings noch lange ein fernes Ziel am Horizont, denn elf Kilometer wollen
erst einmal gelaufen sein. Gegen später kommt dann der langgezogene
Sitojaure in Sicht, und wir können an dessen Nordufer die Hütte erahnen. Wir
steigen hinab in den Birkenwald und stolpern über den wurzeligen Weg der
Hütte und dem Boot entgegen. Unten an der Hütte machen wir erst einmal Rast
und genießen im Schatten sitzend den Blick über farbenfrohen Nördlichen
Eisenhut hinweg auf den glitzernden See. Unser Kapitän ist schnell gefunden.
Nachdem wir mit ihm über unsere unsere geplante Route gesprochen haben,
stiegen wir in sein Boot. Bei gleißendem Sonnenschein fährt er uns über den
flachen Sitojaure nach Svine. Ein richtiger Touristen-Spaß! Drüben angekommen
befolgen wir seinen Rat und ziehen gleich weiter. Wir sollen den Wald am
Südufer meiden und unsere Mittagspause wegen der zahlreichen Moskitos erst
oberhalb einlegen. Das war leicht gesagt, denn der Weg durch den Wald zieht
sich, und wir haben Hunger. Oberhalb der Baumgrenze am Njunjes fehlt dann
das Wasser. Ale Bachläufe sind trocken. Sehr zu unserem Kummer. Erst
unterhalb des Schneefelds kurz vor der Hangkante finden wir ein tröpfelndes
Rinnsal, das wir mit letzter Kraft sowie mit viel Hunger und Durst
erreichen. Kaum haben wir gegessen löst sich das Wasserproblem schneller als
uns lieb ist. Wir sehen den Regen förmlich auf uns zu kommen. Von Nordwesten
her schiebt sich eine Wolkenwand auf uns zu. Binnen Sekunden ist alles
klatschnass. Dafür aber gibt's zum Trost einen doppelten Regenbogen über dem
Sitojaure, der uns restlos fasziniert. Danach geht's weiter immer noch auf
dem Kungsleden hoch nach Njunjes. Wir passieren das steiles Schneefeld und
stehen wenig später auf der Hochfläche. Hier ist alles voller Habichtskraut,
dessen nasse haarige Stiele heftig in der Sonne glitzern. Wir verlassen den
Kungsleden und wandern quer über die Fläche nach Nordwesten um den
Tåresaive herum. Ganz schön erschöpft erreichen wir die zwei kleinen
Seen an seiner Nordflanke. Wir sind gut 20 Kilometer marschiert! Unsere
Zelte stehen direkt an der Nationalparksgrenze - wir sind also so gut wie im
Sarek. Das hält uns nicht davon ab, abends an die nahe Hangkante im Westen
zu schlendern, um dort auf den Laitaure und ein klein wenig aufs Rapadelta
hinab zu staunen. Später gibt es einen höchst dramatischen Sonnenuntergang,
ganz pastos mit vielen bunten Wolken.
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Heute früh gibt es noch mehr Wolken, als am Vorabend - Sicht gleich Null.
Und damit auch wenig Aussicht auf eine sinnvolle Tour hinauf zum Skierfe
ganz in unserer Nähe. Also wird der dritte Tag erst einmal zum richtigen
Ruhetag. Wir bleiben im Zelt oder zumindest am Zeltplatz. Nach zwei Stunden
aber deutet sich ganz zart ein Aufklaren an. Wir nutzen es und marschieren
los zum Skierfe. Nach knapp zwei Stunden sind wir oben. Das Faszinierendste
an diesem Berg ist, dass die Aussicht nicht schrittweise besser wird,
sondern erst nach dem letzten Schritt voll zur Geltung kommt. Erst
unmittelbar an der Hangkante ergibt sich ein Blick, der seinesgleichen
sucht. Unter uns liegt das wunderschöne Delta des Rapaätnos mit seinen
zahllosen Windungen und Seitenarmen. Gut 680 Meter unter uns - nichts für
Nicht-Schwindelfreie. Der Skierfe ist atemberaubend und an seiner Westseite
nahezu senkrecht. Wir haben so ein Glück! Die Sonne scheint hemmungslos, und
wir sind hier oben ganz alleine. Offensichtlich hat sich wegen des Nebels am
Vormittag niemand sonst zu der Tour aufraffen können. Prima. Eineinhalb
Stunden sitzen und stehen wir wie gebannt auf diesem Berg, dann grollt in der
Ferne Donner, und wir starten zurück zum Lager. Förmlich berauscht vom Skierfe
und seinem Ausblick.
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Schon wieder Nebel. So wollen wir nicht starten und bleiben im Zelt. Von
dort beobachten wir eine kleine Gruppe, der wir in den nächsten Tagen öfter
begegnen sollten. Wir geben ihnen die Schuld am Nebel und nennen sie
liebevoll "Die Schlecht-Wetter-Schweden". Erst am Nachmittag hat sich die
Sonne freigekämpft, und wir bauen unsere Zelte ab. Unser Weg führt zunächst
nach Osten an der Renwächterhütte vorbei, schwenkt dann nach Norden am
Åbmojåkkå entlang über die Hochebene. Beim Übergang über
den Åbmo-Bach gibt's die ersten nassen Füße. Das hindert uns nicht am
Weitergehen. Auf dem Weg liegen lange hinderliche Blockfelder, die uns das
Marschieren schwer machen.
Wolken ziehen auf, und ein ungemütlicher Wind stört unsere Mittagspause
oberhalb des Åbmojaures. Als wir die kleinen Seen unweit der
Renwächterhütte vor dem Alep Valak erreichen, will keiner mehr weiter. Wir
sind fertig und schlagen unsere Zelte auf. Mein rechtes Knie schmerzt und
macht mir Sorgen.
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Noch mehr Nebel. Es regnet, und die Sicht ist gleich Null. Wir können nicht
weiter und wollen auch nicht. Vor uns liegt der steile felsige Abstieg
hinunter nach Rinim, und der wäre jetzt ohnehin zu gefährlich. Die Gruppe
trägt die Pause mit Fassung, ein Teil unternimmt einen Ausflug zu den
Schneefeldern im Vassjavagge. Aus dem erhofften Blick hinunter ins Rapadalen
wird allerdings nichts. Auch dort herrscht Nebel. Ich bleibe im Zelt, weil
mein Knie einer Pause bedarf. Es lässt sich zwar anwinkeln, aber das
Nachziehen beim Gehen ist in unregelmäßigen Abständen sehr schmerzhaft. In
Gedanken spiele ich alle Möglichkeiten durch für den Fall, dass ich
tatsächlich nicht mehr weiter gehen kann. Nach Rinim und die Tour abbrechen?
Kein schöner Gedanke.
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Ich kann nicht nach Rinim, selbst wenn ich wollte. Niemand kann hier weg.
Lautes Rauschen weckt mich. Es regnet in Strömen, und das Wasser fließt vom
Hang hinter uns zu den Zelten hinab. Zumindest so viel kann ich durch den Nebel
sehen: um uns herum nur Wasser und Schlamm. Wir versinken langsam im Dreck.
Das Innenzelt wird zur letzten Zuflucht. Aber nicht mehr lange. Hinter
unserem Zelt hat sich ein Tümpel aufgestaut, der unser Zelt unterspült. Es
wird bedrohlich. Zusammen mit Gunnar humpele ich zur nahen, aber im Nebel
noch unsichtbaren, Renwächterhütte. Wir sind bereit, klein beizugeben -
die allerdings Hütte nicht. Sie ist und bleibt verschlossen. Also wieder
zurück. Im prasselnden Regen ziehe ich mit dem Mini-Spaten einen
Miniatur-Rapaätno ums Zelt, der den stetig wachsenden Tümpel entwässern soll.
Den ganzen Tag lang fließt das Wasser durch diesen Graben. Die Gruppe fügt
sich in ihr Schicksal. Einige gehen spazieren, ich schone mein Knie. Das
einzige Buch in der Gruppe ist längst mehrfach ausgelesen. Wir beginnen das
Kartenspielen im Dreimannzelt.
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Der Morgen beginnt still. Tatsächlich: Es regnet nicht mehr, wir können
weiter und sind sehr erleichtert. Weil mein Knie immer noch schmerzt, nimmt
mir die Gruppe Gepäck ab. Wir ziehen los, links am Alep Valak vorbei immer an
der Hangkante entlang nach Norden. Tief unter uns liegt der Sitojaure, das
Rinim Lapplager ist zu sehen, ebenso der viele Schlamm, den der Sitoätno
wegen des heftigen Regens in den flachen See gespült hat. An einen Abstieg
ist aber noch nicht zu denken. Wir wollen das dichte Waldland am Südufer des
Sees meiden. In das tiefe Tal des Rinimjåkkå aber müssen wir
hinunter. Der Abstieg wird zum gefährlichsten Abschnitt unserer Tour. Der
steinige Hang ist sehr steil, die Steine selbst sind sehr locker. Wir müssen
aufpassen und lassen uns Zeit. Eine trockene Furt ist nicht zu finden. Wir
durchqueren den Bach und hüpfen am anderen Ufer hysterisch umher - kalt! Der
steile Aufstieg auf der anderen Talseite bleibt uns nicht erspart. Dafür
ergibt sich oben ein traumhafter Blick auf den See mit seinen Inseln. Ein
Abstieg nach Rinim wird immer unwahrscheinlicher, der Hang ist uns zu steil.
Wir stiegen sogar noch höher und kämpfen uns durch riesige Blockfelder. Erst
weit nördlich von Rinim finden wir eine halbwegs geeignete Route und stiegen
hinunter. Nach all den steilen Blockfeldern und rutschigen Hängen sind wir
sehr froh, wieder auf einer Ebene zu stehen. Der Trampelpfad drängst sich
förmlich auf, und wir wandern noch ein Stück weiter nach Norden. Kurz vor dem
Eingang zum Pastavagge schlagen wir unsere Zelte auf direkt unter der
schwarzen Ostwand des Skårki, die uns deutlich an die bedrohliche
Thangorodrim aus Tolkiens Silmarillion erinnern. Neugierige Rentiere
verbringen den Abend mit uns. |
Die bedrohlichen dunklen Zacken des Skarki sind in Wolken gehüllt. Kein
gutes Vorzeichen. Auch der Eingang zum tief eingeschnittenen Pastavagge
wirkt dunkel und unheilverkündend. Wir marschieren nach Norden. Kurz vor dem
östlichen Pastajåkkå biegt der Pfad ab nach Westen ins tiefe Tal
hinein. Dort wird das Wetter immer ungemütlicher, ein kalter Wind bläst uns
zuerst Regen, später dann Schnee ins Gesicht. Wir kämpfen. Den ersten Bach
meistern wir noch ohne große Schwierigkeiten, wenngleich das Wasser sehr
kalt und die Strömung wegen des Dauerregens sehr stark ist. Im weiteren
Verlauf der Strecke aber, lässt die Motivation stark nach. Es ist
bitterkalt, und wir werden regelrecht durchweicht. Richtig eklig wird's
aber erst am Skaitatjjåkkå. Der ist breiter und kräftiger als
üblich, und wir sind recht geschwächt. Irgendwie hat auch keiner so recht
Lust, sich im Schneeregen bis auf die Unterhose auszuziehen, um dann durch
frisches Gletscherwasser zu waten. Wir kommen an unsere Grenzen und helfen
uns gegenseitig über den Bach. Zwei von uns durchqueren ihn fünf Mal. Eine
Teilnehmerin erlebt hier ihren Tiefpunkt. Sie will nicht über den Bach und
auch nicht mehr weiter. Erst nach langem Zureden im Schneeregen lässt sie
sich fast willenlos durch den Bach führen. Nachdem alle heil angekommen sind,
ziehen wir die Notbremse: Schluss für heute. Inzwischen blasen uns heftige
Böen entgegen, die uns die Zelte schier aus den Händen reißen. Wir sind
froh, als wir endlich in den wärmenden Schlafsäcken liegen. Dennoch
versuchen wir, dem Tag etwas positives abzugewinnen: Wir braten leckeren
Kaiserschmarrn in der Pfanne und gönnen uns gleich zwei Abendessen. Aber
die so gewonnene Zuversicht trügt. In den späten Nachtstunden wird der Sturm
gefährlich. Unbändige Böen legen unser Zelt immer wieder flach, drücken uns
Zelthaut und Gestänge platt auf die Nase. Wir sorgen uns ums Zelt, wollen
aber nicht hinaus in die kalte Hölle. Gegen 2.30 Uhr sind wir mürbe. Wir
schlüpfen in die kalten, nassen Klamotten und bauen unser Zelt im
Ruckzuck-Verfahren ab. Das ist gar nicht einfach, denn die Böen sind so
heftig, dass wir uns schräg gegen sie lehnen können. Dann verziehen wir uns
hinter eine schützende Anhöhe und bauen unser Heim genau so schnell wieder
auf. Auch die beiden anderen Zelte leiden im Sturm, ihre Lage ist allerdings
nicht so bedrohlich. Danach schlafen wir endlich.
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Der Sturm ist vorüber. Wir sind froh und krabbeln noch etwas verirrt aus den
Zelten. Bestandsaufnahme: Alle fit, alles okay? Prima. Von der Sonne keine
Spur, und es nieselt, aber wir wollen weiter. Wir gehen nach Westen
immer tiefer ins Tal und immer tiefer in den Sarek hinein. Je höher wir
kommen, desto dichter werden die Wolken. Von den Felshängen links und rechts
ist fast nichts zu sehen. Es geht durch Blockfelder und über Schneefelder.
Der Wind bläst uns den Schneeregen ins Gesicht, aber nachdem die letzten
Bäche vor der Talhöhe (1066 Meter) überquert sind, steigt die Stimmung. Der
Kampfgeist wächst, die nassen Gesichter grinsen wild, wollen sich nicht
unterkriegen lassen. Nach der Talhöhe verlieren wir wieder an Höhe, die
Sicht wird von Kilometer zu Kilometer besser. Vor uns im Westen erscheint
die Ostflanke des Sarekmassivs. Der Weg durchs westliche Pastavagge zieht
sich aber noch. Der Trampelpfad ist - abgesehen vom Abschnitt auf der
steinigen Talhöhe - gut zu finden. Wir machen keine Rast, das Wetter ist zu
ungemütlich. In flottem Tempo kommen wir bis zum Alep Pastajåkkå
den wir schnell durchwaten. Dann suchen wir uns ein Plätzchen mit Panoramablick
auf den Pierikjaure nördlich vor uns. Und dann passiert's: Am Abend kommt die
Sonne raus, und im Osten sehen wir ein wolkenfreies Pastavagge. Das hätten wir
gerne auch aus der Nähe gesehen! Egal, die Freude übers bessere Wetter
überwiegt und macht Hoffnung auf einen schönen Morgen.
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Sonne. Überall in unserem kleinen Lager sind Kleider zum Trocknen
aufgehängt. Steffi und HudA gehen noch weiter: Sie haben den Inhalt ihrer
Rucksäcke vor dem Zelt ausgebreitet - sieht aus wie ein Gemischtwarenladen
mitten im Sarek. Alle Strapazen der Vortage sind vergessen, wir sind restlos
begeistert von unserer Umgebung, vor allem von der schroffen Felszinne des
Pierikpakte. Ein paar ganz Unverwüstliche von uns baden zwischen Eisschollen
in einem Tümpel, der Rest nimmt lieber mit einem See ohne Eis vorlieb. Danach
gehen wir auf Tour. Sonja will sich noch einmal das Pastavagge anschauen,
wir anderen steigen auf den Pielatjåkkå. Der ist steil und
steinig, dafür aber nicht allzu hoch (1515 Meter). Weil er die Ecke eines
Bergmassivs bildet, bietet er zudem einen traumhaften (fast-)Rundumblick:
Äpar und Skarki, Sarek, das obere Rapadalen bis hinüber zum
Skarjatjåkkå und als besonderer Blickfang die riesigen &Alkatj;-
und Jåkåtjkaska-Gletscher, die größten im Sarek-Nationalpark. Im
Südwesten reicht der Blick sogar bis zum Staika. Wir sehen außerdem, dass es
fast überall regnet, nur nicht bei uns. Den Rückweg nehmen wir über die
weniger steile Westflanke immer mit Blick auf den oberen Rapaätno. Zuhause im
Lager stellen wir fest, dass es auch dort geregnet hat, während wir trocken
zurückkehren. Glück gehabt! |
Und nochmal Sonne. Der Weg mitten durch die Pierikjaure-Zuflüsse ist uns zu
unsicher, wir marschieren nach Südwesten zur Pielavalta Wasserscheide.
Unterwegs staunen über wir eine Rentier-Mama mit ihrem weißen Sprössling.
Nach einer Stunde sind wir in etwa wieder auf der Höhe, haben damit den
Umweg hinter uns und marschieren auf dem dortigen Trampelpfad nach Norden.
Immer am Ufer des Pierikjaures entlang, den mächtige Pierikpakte zu
unserer Rechten. Eigentlich schade, denn wir sehen
jetzt schon im Norden das Ende des Berglandes, in das wir uns so mühsam
vorgekämpft haben. Rein emotional würde ich jetzt lieber nach Westen
Richtung Skarja gehen. Aber gut. Wir haben noch einiges vor uns. Der Weg am
See entlang ist sehr angenehm, die Bergflanken im Westen und Osten sorgen
für Ablenkung. Gegen Mittag ziehen Wolken auf, und es wird merklich kühler.
Unser Lager schlagen wir Fuß des Vuoinesvaratj auf mit Panoramablick auf
unseren Tour-Berg schlechthin, den Pierikpakte. Abends
bekommen wir Besuch von einer neugierigen Rentier-Herde, die offensichtlich
Nähe sucht.
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Vor uns liegt eine kurze Etappe. Deshalb haben wir im strahlenden
Sonnenschein nur wenig Lust, schon vormittags aufzubrechen. Viel lieber liegen
wir in der Sonne und schauen hinüber, wo der Pierikjekna funkelt. Endlich mal
nur in der Sonne liegen! Am Nachmittag aber ziehen schon wieder Wolken auf,
wir brechen auf. Bis auf etwa 1000 Meter steigen wir auf den
Vuoinesvaratj hinauf. Dort sehen wir zum ersten Mal seit Tourstart den
Slugga wieder - einen steinigen Kegel im Norden. Früher als uns lieb ist
sind wir jetzt wieder in Sichtweite der Nationalparksgrenze unter uns im
Kukkesvagge. Wir steigen hinunter und halten uns westwärts, immer die ferne
Akka (2015 Meter) im Blick. Weil wir noch immer mit dem Gedanken spielen,
den Stortoppen (2089 Meter) zu erklimmen, wollen wir die Entfernung zu ihm ein
wenig verkürzen. Im Kukkesvagge scheint es heftig geregnet zu haben. Die zu
querenden Bäche sind allesamt über die Ufer getreten. Die Bergstiefler holen
sich nasse Füße. Unseren Lagerplatz finden wir auf einer felsigen kleinen
Insel mitten im Sumpf. Abends wird es empfindlich kalt.
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Der letzte Ruhetag, und wir haben wieder Sauwetter. Dichte tiefe Wolken und
Nieselregen. Keine Idealvoraussetzungen für einen Gipfelsturm. Was tun?
Steffi bleibt im Lager, Sonja und Gunnar besteigen den Spikakammen bis zur Höhe von
1699 Meter, Saskia, HudA, Stoffel und ich wollen's wissen: Wir ziehen durch
die Sümpfe nach Westen zum Stortoppen. Saskia hat keine Gummistiefel und
geht in Trekkingsandalen. Ihre Beine werden rot. Erst als wir hoch genug
sind, und die wesentlichen Bäche hinter uns haben, zieht sie ihre Bergschuhe
an. Wir haben den Fuß des Stortoppens erreicht und klettern über endlose
Blockfelder, die sich mit Schneefeldern abwechseln. Die Berge sind in
dichten Wolken, unsere Motivation lässt nach. Auf 1470 Metern Höhe meldet
sich mein Knie wieder und ich beschließe, umzukehren. Die anderen drei
wollen auch nicht weiter. Hat eh' keinen Sinn bei dem Wetter. Also schauen
wir hinüber auf die Gänseebene Kassalakko und klettern wieder hinunter. Wir
werten den gescheiterten Gipfelsturm als Ausflug im Kukkesvagge und sind
nicht weiter frustriert. Im Lager treffen wir neben Steffi auch Sonja und
Gunnar wieder. Die beiden hatten mehr Glück: Sie kamen bis auf knapp 1700
Meter Höhe mit Blick auf den Stortoppen. War eben doch die vernünftigere
Alternative.
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Regen, Regen, Regen. Wir bauen die Zelte ab und setzen uns in Bewegung. Es
ist kalt. Wir wollen zur Brücke im Kukkesvagge. Die Bergstiefler nehmen einen
Umweg in Kauf, um ihre Füße trocken zu halten. Wir anderen warten an der Brücke
auf sie. Der große Felsen dort kommt uns gerade recht: Er bietet Schutz gegen
den lausekalten Ostwind. Kurz nachdem die Bergstiefler eingetroffen sind,
marschieren wir über die Brücke und verlassen damit den Sarek Nationalpark.
Kleiner Trost: dafür sind wir jetzt im Stora Sjöfallet Nationalpark. Unser
Weg führt nach Norden mit der Nientotjåkkå Felswand zur Linken. Das
Wetter ist überwiegend ungemütlich. Glücklicherweise hält sich der Regen
während unserer Mittagsrast zurück. Leider halten wir uns danach zu tief und
geraten in äußerst feuchtes Sumpfland etwa auf Höhe der Renwächterhütte. Wir
haben nicht mehr allzu viel Weg bis Suorva vor uns und lagern deshalb wenig
später auf einer großen Wiesenfläche bei Njavvepuolta gegenüber des Sluggas.
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Das Wetter ist gnädig, und wir haben nicht weit zu gehen. Wir sind
zwiegespalten. Einerseits wollen wir raus aus der Wildnis. Dauernässe und
körperliche Verschleißerscheinungen machen sich bemerkbar. Andererseits
haben wir gar keine Lust auf Straßen, Autos und Supermärkte. Aber es hilft
nichts, wir müssen weiter. Wir steigen hoch auf über 900 Meter, um dem
sumpfigen Tiefland zu entgehen. Das Wandererlebnis wechselt von Genuss immer
mehr zur Notwendigkeit. Schließlich müssen wir morgen einen Bus erreichen. Man
stelle sich das vor: einen Bus! Nach einer Bergflanke blicken wir plötzlich
hinunter auf den Akkajaure. Wir sehen die Berge um Stora Sjöfallet und das
Windkraftwerk von Suorva. Die Zivilisation hat uns (fast) wieder.
Die Freude darüber hält sich in Grenzen. Wir bleiben auf Höhe
und campieren am Ausgang des Vuokselvagges. Wir versuchen
den Blick hinunter nach Suorva zu meiden. |
Alle Hoffnungen auf einen krönenden Abschluss sind zunichte. Es gießt in
Strömen. Wir erleben unseren feuchtesten Abbau der ganzen Tour. Widerlich!
Na gut, dann gehen wir eben. Wir suchen den Pfad, der hinunter zum Staudamm
führt und halten auf den Wald unter uns zu. Wir finden ihn, aber behalten
ihn nicht lange. Wie üblich haben wir ein Problem mit markierten Wegen.
Wenig später dann auch ohne. Wir stehen sprichwörtlich im Wald. Weil wir in
dem Sauwetter keinesfalls unseren Bus verpassen wollen, entscheiden wir uns
für eine Verzweiflungstat: Wir wollen querbeet zum Seeufer durchbrechen, wo
laut Karte ein Weg zum Damm führen muss. Also hetzen wir durch den Wald,
überqueren fünfmal den gleichen Bach und kämpfen uns durch zahllose
Schluchten. Nur ganz langsam nähern wir uns dem Ufer. Gar kein Spaß! Wir sind
glücklich, aber
völlig platt, als wir endlich den Uferweg erreichen. Von dort hetzen wir
weiter zu den Dämmen des Kraftwerks. Die überqueren wir im Eilschritt, in
Gedanken immer beim Bus, den wir auf keinen Fall verpassen wollen. Auf eine
Nacht an der Straße hat keiner Lust. Wir haben uns mit dem Ende der Tour
abgefunden und sehnen uns nach den warmen Duschen im Campingplatz. Der
Effekt: Wir sind zu früh dran und müssen eineinhalb Stunden in der Kälte auf
den Bus warten. Wir singen, hüpfen und scherzen, um uns warm zu halten. Die
Ankunft des Busses empfinden wir - zumindest an diesem Tag - als Erlösung.
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